Barrierefreiheitspflicht: Was Odoo-Anwender jetzt beachten müssen

26 Juni, 2025 durch
Barrierefreiheitspflicht: Was Odoo-Anwender jetzt beachten müssen
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Ab dem 28. Juni 2025 wird die Barrierefreiheit digitaler Produkte und Dienstleistungen in der EU durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) verbindlich vorgeschrieben. Die EU-Richtlinien wurden in Deutschland und Österreich bereits in das nationale Recht aufgenommen. Sollte eine Anpassung nicht rechtzeitig vorgenommen werden, müssen Unternehmen ab Mitte 2025 mit erheblichen Bußgeldern, Imageschäden sowie Abmahnungen rechnen.

Warum Barrierefreiheit jetzt zur Pflicht wird

Hintergrund ist die Umsetzung des European Accessibility Act (EAA) in nationales Recht. Ziel ist es, digitale Angebote – von Websites bis zu Softwareanwendungen – so zu gestalten, dass sie auch von Menschen mit Behinderungen ohne Einschränkungen genutzt werden können. Dazu zählen unter anderem Menschen mit Sehbehinderungen, beispielsweise bei der Nutzung von Screenreadern, Menschen mit motorischen Einschränkungen, die auf Tastaturnavigation angewiesen sind, sowie Menschen mit kognitiven oder auditiven Einschränkungen. Alle privatwirtschaftlichen Unternehmen, die standardisierte digitale Produkte oder Dienstleistungen anbieten, sind dazu verpflichtet, diese barrierefrei zu gestalten. Sofern sie nicht als Kleinstunternehmen gelten, betrifft dies digitale Angebote wie Terminals, Onlineshops und Websites.

Barrierefreiheitspflicht: Was bedeutet das konkret für Odoo-Anwender?

Odoo ist eine modulare, webbasierte Business-Software, die in Unternehmen verschiedenster Größen eingesetzt wird – von CRM über Buchhaltung bis hin zur Lagerverwaltung. Da Odoo als Standardsoftware gilt, fällt es unter die Barrierefreiheitspflicht, sofern es in Endkundenschnittstellen oder öffentlich zugänglichen Bereichen genutzt wird (z. B. Webshops, Kundenportale, Bewerberformulare).

Beispiele, wo die Barrierefreiheit in Odoo relevant wird: 

  • Website-Builder und E-Commerce-Modul: Öffentliche Websites müssen barrierefrei navigierbar, lesbar und bedienbar sein. 
  • Kundenportale: Rechnungen, Bestellungen oder Supportanfragen müssen per Tastatur oder Screenreader zugänglich sein. 
  • Bewerbungs- und Kontaktformulare: Diese müssen verständlich beschriftet und ohne Maus bedienbar sein.

Ist Odoo bereits barrierefrei?

Seit Version 16 bietet Odoo in der Standardversion erste grundlegende Funktionen zur Barrierefreiheit, allerdings ist die Software noch nicht vollständig barrierefrei umgesetzt. Benutzerdefinierte Module, Themes und Erweiterungen entsprechen nicht immer den Anforderungen der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG).

Relevanz für Odoo-Websites: 

Das solide technische Fundament von Odoo erfüllt nicht alle Anforderungen der WCAG. Folgende Faktoren sind relevant: 

  • Verwendetes Theme: Hierzu zählen Farbkontraste, HTML-Strukturen und die Navigation. 
  • Code-Anpassungen: Sie können Verbesserungen erzielen, bergen aber auch Risiken. 
  • Drittanbieter-Module: Die Vorgaben der WCAG werden nicht immer in Drittanbieter-Modulen berücksichtigt.

So werden die Anforderungen der WCAG in Odoo erfolgreich umgesetzt

Folgende 4 Prinzipien definieren den internationalen Standard für die digitale Barrierefreiheit: 

Wahrnehmbarkeit 

  • Alt-Texte für Bilder: Alternativtexte können in Odoo manuell hinzugefügt und gepflegt werden. Auch Icons wie Social-Media-Links oder Funktionssymbole (z. B. Lupensymbol) sollten mit aria-label oder role="img" versehen werden. Dabei handelt es sich um HTML-Attribute, die in Verbindung mit Accessible Rich Internet Applications verwendet werden. 
  • Farbkontraste: Der Mindestkontrast von 4.5:1 zwischen Text und Hintergrund sollte eingehalten werden. Tools wie der WebAIM Contrast Checker oder axe helfen bei der Prüfung. 
  • Screenreader-Unterstützung: Regelmäßige Tests mit JAWS, VoiceOver oder NVDA sind empfehlenswert. Für dynamisches Feedback können aria-describedby und aria-live="polite" eingesetzt werden. 
  • Responsive Design: Inhalte müssen auch bei bis zu 200 % Zoom lesbar und vollständig zugänglich bleiben. Eigene Snippets oder Blocks sollten getestet werden.

Bedienbarkeit 

  • Tastatur-Navigation: Buttons, Menüs, Formulare und modale Fenster müssen ohne Maus bedienbar sein. Das bedeutet: 
    • Mit Tab und Shift+Tab navigieren 
    • Mit Enter oder Space auslösen 
    • Kein „Tastatur-Falleffekt“ bei Pop-ups - Dieser entsteht, wenn Nutzer mit der Tastatur in einem bestimmten Bereich einer Website „gefangen“ sind und diesen nicht mehr verlassen können. 
  • Fokus-Indikatoren: CSS-Anpassungen helfen, den Tastaturfokus sichtbar zu machen – etwa durch Farbanpassung und Hervorhebungen. 
  • Keine Zeitlimits: Odoo setzt keine automatischen Zeitbegrenzungen für Nutzerinteraktionen wie das Ausfüllen von Formularen ein. 
  • Hinweis zu Odoo-Themes: Viele enthalten nicht fokussierbare JavaScript-Elemente. Hier helfen die HTML-Attribute tabindex, aria-expanded, aria-controls und role, die die Tastaturnavigation und Zugänglichkeit von interaktiven Elementen für Screenreader und Nutzer mit Einschränkungen verbessern.

Verständlichkeit 

  • Klare Sprache: Inhalte sollten durch einfache Ausdrucksweise, kurze Sätze und eine klare Gliederung verständlich sein. 
  • Konsistente Navigation: Menüstrukturen müssen logisch aufgebaut und einheitlich gestaltet sein. 
  • Formulare: 
    • Felder sollten korrekt beschriftet sein (<label for="id">). 
    • Pflichtfelder müssen klar erkennbar sein – und das nicht nur durch Farbe. Eine Kennzeichnung erfolgt beispielsweise durch Sternchen am Textfeld. Wenn ein Formular versendet werden soll, ohne dass die Pflichtfelder ausgefüllt wurden, können diese durch eine rote Umrandung, Ausrufezeichen und Fettdruck markiert werden. 
    • Fehlermeldungen sollen verständlich sein. 
    • Platzhalter ersetzen keine Labels. 
    • Feedback sollte per aria-describedby oder aria-live verfügbar sein. 

Robustheit 

  • Valides HTML: Der Odoo-Core erzeugt in der Regel bereits sauberen Code – durch gezielte Erweiterungen lässt sich dieser weiter optimieren. Wichtig sind: 
    • Semantische Elemente wie <nav>, <main>, <section> 
    • Korrekte Überschriftenstruktur <h1><h2><h3> 
    • Saubere Auszeichnung von Tabellen, Listen und Formularen 
  • Assistenztechnologien: Tools wie AXE, Lighthouse oder WAVE sollten für regelmäßige Tests genutzt werden. 
  • Theme-Anpassung: Bestehende Themes lassen sich mit QWeb-Templates und dem Website-Builder optimieren – z. B. durch: 
    • Integration von ARIA-Rollen 
    • Anpassung der Tastaturbedienbarkeit 
    • Verbesserung von Farben und Schriften

Ausblick Odoo 19: Fortschritte in Richtung Barrierefreiheit

Mit Odoo 19 geht die Business-Software einen weiteren Schritt in Richtung Barrierefreiheit. Besonders im Bereich der Website-Gestaltung wird die neue Version um integrierte Accessibility-Checks erweitert. Diese Funktion unterstützt Redakteurinnen und Redakteure dabei, Webinhalte direkt beim Erstellen auf Barrierefreiheit nach WCAG-Standards (z. B. Kontraste, Alt-Texte, Tastaturbedienbarkeit) zu prüfen. Dadurch sollen Websites nicht nur rechtssicherer, sondern auch inklusiver gestaltet werden. Zwar ist die Barrierefreiheit in Odoo noch nicht flächendeckend umgesetzt, doch die angekündigten Verbesserungen in Version 19 zeigen, dass das Thema zunehmend in den Fokus der Produktentwicklung rückt.

Barrierefreiheit: Jetzt aktiv werden

Unternehmen sollten zunächst eine Bestandsaufnahme durchführen, um zu klären, welche Module ihrer Odoo-Instanz öffentlich zugänglich oder für externe Nutzer vorgesehen sind. Darauf aufbauend empfiehlt sich ein umfassender Check der Barrierefreiheit durch sogenannte Accessibility-Audits. Anschließend sollte ein konkreter Maßnahmenplan erarbeitet werden, der sowohl technische als auch gestalterische Anpassungen umfasst. Auch eingesetzte Drittanbieter-Module und Erweiterungen müssen im Hinblick auf ihre Barrierefreiheit geprüft und bewertet werden. Um rechtlich abgesichert zu sein, sollten alle umgesetzten Maßnahmen sorgfältig dokumentiert werden. Mit überschaubarem Aufwand lassen sich viele Barrieren abbauen und die Nutzerfreundlichkeit verbessern.

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